en de
03. Veröffentlichung des ADµP® Entwicklernetzwerkes
Bitte wählen Sie in der Kopfzeile eine Sprachversion, eine der nachfolgenden Internet-Verknüpfungen oder Überschriften aus dem Inhaltsverzeichnis aus!
(«) Erste Veröffentlichung (<) Vorhergehende Veröffentlichung (>) Nachfolgende Veröffentlichung (») Letzte Veröffentlichung (^) Autor (=) Redaktion ($) Bestellung des ausführlichen Textes (&) Liste der Veröffentlichungen (§) Liste der Firmenschriften
Art der Veröffentlichung:
Vortrag auf dem 8. ASIM-Workshop "Simulation verteilter Systeme und paralleler Prozesse" 1993 am Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen in Dresden (Auszug)
Thema:
Verhaltenssimulation mit ereignisorientierten Analyse-, Berechnungs- und Steuerungsmodellen
Autor:
Christian E. Jacob
Inhaltsverzeichnis: (0) Zusammenfassung  (1) Verhaltenssimulation  (2) Systematik einer Bibliothek ereignisorientierter Modelle  (3) Extremwerterfassung  (4) Virtuelle Testschaltung mit Zustandsgraphen  (5) Literaturverzeichnis 
topic   (0) Zusammenfassung
Die Wirklichkeit wird im einem Modell immer nur "so genau wie nötig" abgebildet. Der Rechenaufwand (Speicherbedarf und Rechenzeit) steigt mit der notierte Auflösung überproportional. Mit Methoden der Verhaltenssimulation kann dieser Aufwand in Grenzen gehalten werden.
topic   (1) Verhaltenssimulation
Rechenaufwand und im Modell notierte Auflösung einer Simulationsaufgabe stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Mit wachsendem Umfang der Aufgabe steigen auch Speicherbedarf und Rechenzeit. Dazu erhöhen sich erfahrungsgemäß die Zeitanteile für Vor- und Nachbereitung der Simulationsaufgabe. Die notierte Auflösung ergibt sich

a) aus der notwendigen Beobachtungstiefe "durch" ein technisches Gebilde (u.a. Reglungsstruktur, Steuerabläufe, elektrische/elektronische Schaltung, konzentriertes elektrisches/elektronisches Bauelement, räumliche verteiltes elektrisches/elektronisches Verhalten, Wärmequellen und Temperaturverteilungen)
b) bezogen auf die Größe des Betrachtungsfensters auf ein technisches Gebilde als den Gesamtumfang der Simulationsaufgabe.
c) Die notierte Auflösung wird insbesondere durch die Anforderungen charakterisiert, die durch die zu untersuchenden Zeitmaßstäbe (u.a. dominante Zeitkonstanten, kleinste zu berücksichtigende Zeitkonstanten, Tot-, Abtast- , Verzögerungszeiten, Schaltflanken) entstehen.

Die in den Punkten a) bis c) genannten drei Aspekte der Auflösung eines technischen Gebildes stehen für gewöhnlich miteinander in Verbindung (Ursache-Wirkungs-Kette) oder sind gar voneinander abhängig (Spinnennetzprinzip). Zu betrachtendes Fenster, Beobachtungstiefe und Zeitauflösung werden letztlich von der Simulationszielstellung bestimmt.
Die Größe des Betrachtungsfenster überstreicht nicht selten verschiedene Fachdisziplinen der Technik und angrenzende Gebiete, was heute von interdisziplinären Simulatoren direkt unterstützt wird. Die Kommunikation zwischen den Fachleuten erfordert vereinbarte Abstraktionsebenen: Hilfreich ist dabei die Systematik in Tabelle 1, die vier Abstraktionsebenen bei der Notierung einer technische Problemstellung charakterisiert.


Tabelle 1: Abstraktionsebenen der analogen und diskreten Simulation
 Abstraktionsebene   Charakteristik   Analogmode   Diskretmode 
 Verhaltensebene   ereignisorientierter Gleichungslöser   Klemmenverhalten (Blackbox)   Zustandsgraph bzw. Petri-Netz 
 Funktionelle Ebene   Aufzeichnung der funktionellen Struktur   Blockstruktur, lineare Bauelemente, ideale Schalter   ideale Logikschaltung (Boolesche Algebra) 
 Detaillierte Ebene   1:1-Nachbildung des tatsächlichen Aufbaues   Netzwerk mit nichtlinearen Bauelementen   reale Logikschaltung 
 Bausteine   technologieabhängige Besonderheiten  Makromodelle   Logikgatter 

Anwendungen ereignisorientierter Modelle (in Form von Zustandsgraphen oder modifizierten Petri-Netzen) sind in der Technik (noch) nicht alltäglich geworden. Ihre Vorteile liegen aber auf der Hand (direkte Eingabe von Steuerungsabläufen, Unterstützen der Systemanalyse, Notieren nebenläufiger Modelle, wenig rechenintensiv). Auf die Besonderheiten ereignisorientierter Modelle möchte der Autor nachfolgend eingehen und Anregungen zur Systematik einer Modellbibliothek geben.
topic   (2) Systematik einer Bibliothek ereignisorientierter Modelle
Modellbibliotheken sind Bausteinsammlungen für die Simulation. Besonders Verhaltensmodelle, die ja mehr oder weniger von der Physik "abgehoben" sind, bedürfen einer konsequenten Systematik. Ihre Anwendung im Rahmen einer Bausteinsammlung bleibt dem Experten oder einem Expertensystem vorbehalten.
Typische Aufgaben der Prozessüberwachung, -analyse und -steuerung werden bei entsprechenden Simulationen durch Module zur Testsignalbildung (Sollwertquellen, Testvektoren, . . .) ergänzt, die in bezug auf die Abarbeitungsreihenfolge vorgeschaltet sind.
Weiterhin werden zweckmäßigerweise Module zur Auswertung von Simulationsdaten (Erfassen von Extremwerten, Integralbildung, Mittelung, Zeitverlauf von Produkten verschiedener Signale, . . .) zusätzlich angewendet. Sie sind in bezug zur Abarbeitungsreihenfolge nachgeschaltet.
Entsprechende Module enthalten Zustandsgraphen oder modifizierte Petri-Netze, die über eine Prioritätenkette in der Abarbeitungsreihenfolge gesteuert werden. Übergeordnete Zustandsgraphen bzw. Petri-Netze steuern untergeordnete. Das gilt für alle Steuerungs- und Regelungsaufgaben in der Automatisierungstechnik, genauso für die Anwendung entsprechender Module im Rahmen einer Simulationsaufgabe. Es muß eine Abarbeitungsreihenfolge entsprechend Tabelle 2 eingehalten werden.

Tabelle 2: Abarbeitungsreihenfolge von Modulen, die Zustandsgraphen oder modifizierte Petri-Netze enthalten (gilt für jeden Rechenschritt)
 Abarbeitungs- 
 reihenfolge 
 Funktion   Beispiele 
 1   Testsignalbildung und -erfassung   Sollwertbildung 
 Netzsynchronisation 
 2   Prozessüberwachung und -analyse   Überwachung von Schaltzuständen 
 3   Prozesssteuerung   Zündimpulsbildung 
 Modellberechnungen 
 4   Auswertung von Simulationsdaten  Extremwerterfassung 
 Integralbildung 
 Leistungsmessung 

Die in Tabelle 2 genannten Funktionen haben folgende Aufgaben:

1.) Mittels einer Testsignalbildung und -erfassung wird die Prozesssteuerung auf Führungs- und Störgrößen synchronisiert. U. a. werden Führungs- und Störgrößen und weitere Eingangssignale gebildet.
2.) Die Prozessüberwachung und -analyse dient dazu, Signale für die Prozesssteuerung zu gewinnen. U. a. werden Prozesszustände, Verfahrensgrößen, Schaltzuständen von Stromrichterventilen u.s.w. ermittelt.
3.) In der Prozesssteuerung werden technische Steuerungsaufgaben programmiert sowie parallele und von Ereignissen abhängige Berechnungen notiert [Jacob89.1].
4.) Die Online-Auswertung von Simulationsdaten bedarf der besonderen Erwähnung. Sie ermöglicht, vorgreifend auf dem Postprozess, Kennwerte simulierter zeitabhängiger Größen zu ermitteln. Die Online-Auswertung während des Simulationslaufes macht aus einen Simulationsprogramm ein Berechnungs- und/oder Optimierungsprogramm [Jacob92].
Die Module nach Punkten 2.) Die Prozessanalyse und 4.) Auswertung von Simulationsdaten haben gleichartige Aufgaben zu erfüllen. Insofern sind sie untereinander fast austauschbar. Allerdings unterscheidet sich die Abarbeitungsreihenfolge in den Berechnungsphasen für jedes Modell:

a) Modelle nach Punkt 2.) Prozessüberwachung und -analyse liefern Daten, die für weitere Berechnungen und/oder Steuerungsaufgaben in Punkt 3.) Prozesssteuerung benötigt werden. Diese Daten müssen also zu Beginn jedes Rechenschrittes bereitgestellt werden.
b) Module nach Punkt 4.) werden zur Auswertung von Simulationsdaten genutzt. Im einfachsten Fall können ausgewertete Simulationsdaten zur Anzeige gebracht werden. Es werden aber auch große Datenmengen von Worst-Case-, Multisimulations- und Optimierungsläufen ausgewertet. Diese Auswertemodule sollten bezüglich des Simulationslauf rückwirkungsfrei sein, sonst entstehen u.U. systematische Messfehler. Diese Daten dürfen erst am Ende jedes Rechenschrittes gewonnen werden.
Die in Tabelle 2 dargestellte vierstufige Reihenfolge kann dann noch innerhalb der Punkte 1.) bis 4.) mit einer feineren Unterteilung der Abarbeitungsreihenfolge versehen werden. Sie versteht sich dann als Aufrufreihenfolge ereignisorientierter Modelle zu jedem Simulationsschritt und wird mit den entsprechenden Verfeinerungen zur Gestaltung der Bibliothek der ereignisorientierten Analyse-, Berechnungs- und Steuerungsmodelle herangezogen.
Das Simulationsprogramm IDAS der Fa. SIMEC Chemnitz enthält u.a. eine Fachsprache zur Beschreibung von Zustandsgraphen bzw. modifizierten Petri-Netzen. Es können lineare, verzweigte und nebenläufige Strukturen von Steuergraphen mittels entsprechenden Netzelementen notiert werden. Die Abarbeitungsreihenfolge der Netzelemente wird vom Anwender vorgegeben [Knorr91].
Von einem Simulationsprogramm kann heute erwartet werden, dass die Aufgabenstellung nur soweit wie nötig detailliert werden muss [Jacob90]. Dies betrifft, sowohl die Auflösung der Struktur, als auch die zu untersuchende Zeitauflösung. Diese Forderung wird vom Simulationsprogramm IDAS ausdrücklich unterstützt [Knorr91][Jacob89.2]. Nachfolgend werden zwei ereignisorientierte Modelle vorgestellt, die mit dem Simulationsprogramm IDAS getestet wurden.
topic   (3) Extremwerterfassung
Die Notwendigkeit, Extremwerte bereits während des Simulationslaufes zu ermitteln, wurde bereits in Abschnitt 2. Pkt. 4.) besprochen. Dazu wird beispielhaft für das Erfassen von Maximalwerten ein Zustandsgraph gemäß Bild 1 näher betrachtet.
Er enthält zwei Netzelemente, die in Abhängigkeit vom Scheitelwert einer Testfunktion "Signal" schalten. Dabei wird die Markierung /m von Zustand zu Zustand weitergeben. Ist "Signal" größer als "MaxWert", wird der jeweils aktuelle Scheitelwert an die Variable "MaxWert" übergeben. Bild 2 zeigt einen Ausschnitt eines Testlaufes: Der Extremwert "MaxWert" wird ohne Verzögerung nachgeführt.
Dieser Zustandsgraph wird für jeden zu erfassenden Maximalwert einmal notiert. Die Variablen "Signal" und "MaxWert" müssen sich natürlich jeweils auf die entsprechenden Größen beziehen. Zum Erfassen von Minimalwerten muß der Startwert (MinWert := +1E37) und die Übergangsbedingung (Signal kleiner MinWert) geändert werden.
topic   (4) Virtuelle Testschaltung mit Zustandsgraphen
Überwachung, Kennwertermittlung, Integralbildung u.s.w. während des Simulationslaufes werden im folgenden Beispiel vorgestellt. Zur Untersuchung eines dynamischen Thyristormodells wird eine Testschaltung mit einer Spannungsquelle verwendet, die einen rechteckförmigen Zeitverlauf vorgibt. Da auch erhebliche Ströme bereitgestellt werden müssen, sind diese Testschaltungen technisch sehr aufwendig. Das vom Autor dafür verwendete Simulationsmodell ist ein gemischtes (netz- und ereignisorientiertes) Thyristormodell. Es enthält in (Bild 3) einesteils die Schaltung mit den Modellbauelementen "rB_V1", "th_V1", "s_V1", "c#D_V1", "c#S_V1" und (in Bild 4) anderenteils einen Zustandsgraph (Zustände: zBlock_V1; zLeitb_V1, zSperr_V1) zu Überwachung der Schaltung. Der Schalter s_V1 wird vom Zustandsgraph gesteuert. Mit den nichtlinearen (Diffusions- und Sperrschicht-) Kapazitäten wird das Ausschaltverhalten des Thyristors näherungsweise abgebildet. Der Schalter s_V1 ist während der Zuständen "zLeitb" (Leitbereich) und "zSperr" (Sperrbereich) geschlossen und im Zustand "zBlock" (Blockierbereich) geöffnet.
Der zweite Zustandsgraph (Zustände: zDurch; zNachl, zRestl; zSperr) in Bild 4 dient ausschließlich der Überwachung, Messung und Auswertung des Simulationslaufes. Er liefert unmittelbar zum Simulationsende Ergebnisse, die mit Herstellerdaten verglichen werden können. Mit der Testschaltung wird das Thyristormodell für einen (repräsentativen) Bauelementetyp, ein Exemplar oder kritische technologisch bedingte Parameter eingestellt. Das parametrisierte Modell kann dann in der zu simulierenden Stromrichterschaltung verwendet werden.
Erfolgreiche Anwendungen existieren u.a. bei der Berechnung der TSE-Beschaltung einer B6C-Schaltung an einem weichen Einspeisenetz. Simulation und Messung zeigen auch dort noch gute Übereinstimmung.
top    (5) Literaturverzeichnis
[Jacob89.1] Christian Jacob; Dietrich Möller: Anwendung des Simulationssystems IDAS (LENE) für den Entwurf von Stromrichtern Vortrag auf der 10. Tagung "Industrielle Automatisierung - Automatisierte Antriebe" der TU Chemnitz 14./16.02.89

[Jacob89.2] Christian Jacob: CAD-Lösungen für Entwurf, Konstruktion und Technologie von Leistungselektronik; Artikel in der Zeitschrift "VEM-Technische Information" 1989, Heft 19, Seiten 39 - 41

[Jacob90] Christian Jacob: Entwicklungstendenzen auf dem Gebiet CAE für Leistungselektronik und Weiterentwicklungen am Simulationssystem IDAS; Vortrag zum Workshop der Anwendergruppe IDAS an der TU Chemnitz 5./7.06.1990 und Artikel in der Zeitschrift "ELEKTRIE" Heft 4/1991 Seiten 127 - 131

[Knorr91] Birgitt Knorr, u.a.: Referenzhandbuch für das Simulationssystem IDAS zur Simulation elektronischer und leistungselektronischer Schaltungen und Anlagen mit Steuer- und Regeleinrichtungen; Fa. SIMEC GmbH & Co.KG Chemnitz, 1991

[Jacob92] Christian Jacob: Anwenderbezogene Architekturen bei Mehrsprachensimulatoren; Vortrag zum 8. Workshop "Simulationsmethoden und -Sprachen für verteilte Systeme und parallele Prozesse" der ASIM am FhG-IIS in Dresden 27./28.04.92

Christian E. Jacob