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99. Veröffentlichung des ADµP® Entwicklernetzwerkes
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Art der Veröffentlichung:
Vortrag zum VDE World Microtechnologie Congress (MICRO.tec 2000) vom 25. bis 27.09.2000 in Hannover (Textfassung)
Thema:
Anwendung der ereignisgetriebene Zeit- und Frequenzanalyse (edT&FA) in der Mikrotechnologie für Strukturuntersuchungen in Natur, Technik und Wirtschaft sowie Maschinen-, Fahrzeug-, Aggregatediagnose und automatische Spracherkennung (ASR)
Autor:
Dr.-Ing. Christian Jacob, Member IEEE/VDE
Inhalt:

Zur Auswertung natürlicher und technischer Signale, sowie zeitlicher Verläufe in Wirtschafts- und Börsendaten, werden zunehmend gemischte Methoden der Zeit- und Frequenzanalyse [Qian 96] verwendet. Sie eignen sich für kontinuierliche Signalverläufe. Im Gegensatz dazu werden zur Analyse diskontinuierlicher Signalverläufe Verfahren verwendet, die die jeweiligen Systemzustände, die ursächlich zur Diskontinuität führen, auswerten. Es liegt nahe, die genannten Methoden und Verfahren zur ereignisgetriebenen Zeit- und Frequenzanalyse (edT&FA – event driven Time and Frequency Analysis), die sich sowohl für diskontinuierliche als auch kontinuierliche Signalverläufe eignet, zusammenzufassen. Der Vortrag führt anschaulich in die Anwendung eines derartigen Verfahrens ein. Er zeigt die Möglichkeiten zur Gewinnung von Merkmalsvektoren, die insbesondere für eine Verbesserung der Automatischen Spracherkennung (ASR) genutzt werden. Anschließend wird ein Dienstleistungskonzept vorgestellt mit dem Mikrotechnologiefirmen unterstützt werden, Verfahren, Einrichtungen und Methoden der ereignisgetriebenen Zeit- und Frequenzanalyse anzuwenden.

An der Schnittstelle zwischen den kontinuierlichen und diskontinuierlichen Welten wird der Begriff "Ereignis" in einer Facette nach Petri [Reisig 82] verwendet: Bei der Analyse zeitlicher Verläufe (Schwingungen) ist ein Ereignis nach Petri ein Zeitpunkt, der unter bestimmten Bedingungen eintritt. Es kann aber auch ein Punkt im Raum sein, der unter bestimmten Bedingungen bei der Analyse räumlicher Verläufe (Wellen) erreicht wird. Die ereignisgetriebene Zeit- und Frequenzanalyse wird von mindestens zwei so definierten Ereignissen gesteuert. Im einfachsten Fall werden diese Ereignisse direkt aus der Beobachtung des Verlaufes des Signals abgeleitet. Jedes Signal hat eine Charakteristik (Amplituden, Periodendauern, Phasenlagen von Grund- und Oberschwingungen sowie die dominante Schwingung) [Jacob 95], die dafür herangezogen werden kann.

Nachfolgend werden zur Veranschaulichung der ereignisgetriebenen Zeit- und Frequenzanalyse zwei Beispiele ausgewählt: Im ersten Beispiel ändert sich die Intensität der dominanten Schwingung und es sollen die momentanen Amplituden ermittelt werden. Im zweiten Beispiel ändert sich die Frequenz der dominanten Schwingung, hier als Flexibilität bezeichnet, und es sollen die momentanen Periodendauern gemessen werden. Die Intensität bringt eine Aussage über die momentane Energiedichte des Signals. Fig. 1 zeigt die dominante Schwingung eines Signals mit gleichbleibender Periodendauer und veränderlicher (abnehmender) Intensität. Dieser Verlauf könnte einem Vokal der menschlichen Sprache entlehnt sein.

Fig. 1: Dominante Schwingung eines Vokals (rot), Bildung des Merkmalsvektors bestehend aus Real- (grün), Imaginärteil (blau) und Amplitude (gelb) nach jedem Ereignis d.h. nach jeder Halbschwingung

Fig. 2: Dominante Schwingung eines Konsonanten (rot), zeitliche Verteilung im Merkmalsvektor bestehend aus Periodendauer (grün), Vorhersage der Periodendauer erster Ordnung (blau) und Vorhersage der Periodendauer zweiter Ordnung (gelb)

Nur die eintretenden Ereignisse (nach Ablauf einer Halbschwingung) führen zur Aktualisierung des Merkmalsvektors. Der tatsächliche Informationsgehalt eines Vokals kann somit auf ein Minimum verdichtet werden. Der Merkmalsvektor enthält Real-, Imaginärteil der dominanten Schwingung und deren Amplitude. Für Oberschwingungen des Signals können weitere (in Fig. 1 nicht dargestellte) Merkmale gewonnen werden.

Fig. 3: Prototyp einer ereignisgetriebenen Zeit- und Frequenzanalyse, Ausschnitt aus einem Zustandsgraph gemäß UML Version 1.0

Um die ereignisgetriebene Frequenzanalyse in Fig. 1 online auszuführen, muß die Periodendauer der dominanten Schwingung im voraus bekannt sein. Wie es gelingt die Periodendauer "vorherzusagen" wird im zweiten Beispiel gezeigt: Die o. g. Flexibilität beschreibt die momentane Resonanz der Signalquelle. Fig. 2 zeigt die dominante Schwingung eines Signals mit gleichbleibender Intensität aber veränderlicher (abnehmender) Flexibilität. Sie wurde der Vielfalt der Konsonanten der menschlichen Sprache entlehnt. Dank sehr kurzer Meß- und Analysezeiten steht unmittelbar nach Ablauf einer dominanten Halbschwingung ein aktualisierter Merkmalsvektor mit der gemessenen Periodendauer bereit. So gelingt es, momentane Frequenzanteile in Konsonanten informationstechnisch aufzuspreizen und seinen Merkmalsvektor angetrieben von der Ereignissteuerung in nichtäquidistanten Schritten weiterzuverarbeiten. Weitere Merkmale im Vektor sind vorhergesagte Periodendauern der ersten und zweiten Ordnung, die aus der ersten und zweiten Ableitung der Periodendauer nach der Zeit gewonnen werden. Letztlich wird die vorhergesagte Periodendauer der n-ten Ordnung sogar zum gleichmäßigen Auszählen der Stützstellen für eine Online-FFT des selben Signals verwendet.

Für den Entwurf von Verfahren, Einrichtungen und Methoden der ereignisgetriebenen Zeit- und Frequenzanalyse wird ein Prototyp empfohlen. Fig. 3 zeigt einen Ausschnitt aus dem Prototypen, der für die Gewinnung der Merkmalsvektoren in den Fig. 1 und 2 verwendet wurde. Er wurde als Zustandsgraph notiert und entspricht damit dem Standard Unified Modeling Language Version 1.0 [UML 97]: Die Transitionen transStartOver und transGoUnder überwachen das zu analysierende Signal cvS1. Im Zustand iniOver wird die Messung in der oberen Halbschwingung vorbereitet, in den Zuständen sumOver ausgeführt und fixOver abgeschlossen. Als Spiegelfunktionen für die Fouriertransformation werden für miS1K1re eine Sinus- und für miS1K1im eine Cosinusfunktion vorgegeben. Hier könnte auch jede andere explizit darstellbare Funktion der JTFA [Qian 96] oder auch Wavelets [Daube 92] vorgeben werden. Bei Bedarf wird die (hier komplexe) Dimension des Kanals K1 für Wavelets erweitert. Pro Kanal kann im Zustand iniOver eine Ordnungszahl nyK1 = ny vorgeben werden. Für die Zuordnung weiterer Ordnungszahlen nyK2, nyK3, ... , nyKm müssen entsprechend weitere Kanäle K2, K3, ... , Km (in Fig. 3 nicht dargestellt) eingerichtet werden. Bemerkenswert ist, dass durch das vorgestellte Konzept in der praktischen Anwendung die Anzahl der Kanäle auf 8 bis 32 begrenzt bleibt. Was in jedem Kanal zu analysieren ist (Spiegelfunktion, Ordnungszahl, Gleichung mit der Methode u.s.w.) wird von Ereignis zu Ereignis neu zugewiesen.

Die Aufwendungen zur Implementierung ereignisgetriebener Verfahren in Hard- und Software-Lösungen sind nicht unerheblich. Aus diesem Grund wird vom Autor die ganzheitliche Systembetrachtung in besonderer Weise unterstützt. In der Aufgabenstellung werden für die (1) Periodendauermessung geeignete Verfahren in Abhängigkeit vom zu analysierenden Signal ausgewählt. Dann wird schrittweise die (2) Generierung der Ereignisse definiert. Daraus ergibt sich die (3) Anzahl der Zustände, die die ereignisgetriebene Zeit- und Frequenzanalyse einnehmen kann. Schließlich werden den (4) Zuständen die Transformationsregeln zugeordnet und abschließend werden die (5) Ein- und Ausgabedatenformate vereinbart.

Die ereignisgetriebene Zeit- und Frequenzanalyse (edT&FA) wird nicht nur für diskontinuierliche Signale verwendet. Sie eignet sich u. a. auch hervorragend zur Analyse natürlicher Signale, die meist – so wie die menschliche Sprache - durch eine dominante Schwingung charakterisiert werden. Auf Basis der modernen Mikrotechnologie entstehen vielfältige Anwendungen für Strukturuntersuchungen in Natur, Technik und Wirtschaft. Die ereignisgetriebene Zeit- und Frequenzanalyse ist prädestiniert für eine Neuronale Weiterverarbeitung, wie sie in der Maschinen-, Fahrzeug-, Aggregatediagnose und automatische Spracherkennung (ASR) verwendet wird. Die genannte Entwicklung eines Prototypen in einer standardisierten Entwurfssprache wird empfohlen um nachfolgende Schritte zu vollziehen: Die Eignung des Prototypen wird zuerst mit Hilfe geeigneter Testvektoren (mathematisch generierte Signale) nachgewiesen. Danach wird mit Hilfe des fertigen Prototyps die maschinelle Generierung des Layouts für eine Hardware-Lösung oder die automatische Generierung des Programmcodes für eine Software-Lösung vorgenommen. Auch in dieser und allen weiteren Entwurfphasen steht der Prototyp zum Verifizieren der Entwurfs-, Mess- und Analyseergebnisse zur Verfügung.

 

Literatur

[Reisig 82] Wolfgang Reisig: Petrinetze - eine Einführung. Springer-Verlag Heidelberg 1982

[Daube 92] Daubechies, I.: Ten Lectures on Wavelets. Society for Industrial and Applied Mathematic, Philadelphia, PA (1992)

[Jacob 95] Christian Jacob: Verfahren zur Periodendauer- und Wellenlängenmessung dominanter Schwingungen und Wellen sowie zur Spektralanalyse von Schwingungen und Wellen, Offenlegungsschrift DE 195 20 836 vom 31.05.1995

[Qian 96] Qian, S.; Chen. D: Joint Time-Frequenz Analysis, Methods and Applications. Prentic Hall. 1996

[UML 97] Unified Modeling Language (UML) Version 1.0 vom 13.01.1997